Ebow: "Nicht alles muss politische Praxis sein" (2024)

Ebow gilt als Sprachrohr einer postmigrantischen Rap- und Kunstszene. Im Interview kritisiert sie abgehobene linke Diskurse und feiert die Macht des Flexens.

Interview: Till Wilhelm

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Ebru Düzgün rappt unter dem Namen Ebow, als Teil einer progressiven, postmigrantischen Community fordert sie unter anderem mehr Sichtbarkeit und Mitsprache in öffentlichen Diskursen. Zum Interview lädt die Künstlerin mit kurdisch-alevitischen Wurzeln in ihre Berliner Altbauküche. Katzen klettern dort an Regalen herum, eine Zigarette brennt im Aschenbecher. "Canê" heißt das neue, vierte Album von Ebow, der kurdische Begriff bedeutet "Seele" oder "Liebling". Mehr als auf früheren Platten rückt die 32-Jährige damit sich selbst in den Fokus.

ZEIT ONLINE: Frau Düzgün, zu wem sprechen Sie in ihren Liedern?

Ebru Düzgün: Mit Anfang 20 habe ich meine ersten Songs veröffentlicht, um weiße, rassistische Leute auf ihre eigene Einstellung aufmerksam zu machen. Dann habe ich schnell gemerkt, dass mich vor allem Feuilletons, Magazine, eben weiße Menschen gefeiert haben, weil ich ein Beispiel für vermeintlich perfekte Integration verkörpert habe. Je älter ich wurde, desto klarer wurde mir, dass ich darauf achten muss, wo ich meine Energie investiere. Also reifte der Entschluss: Ich möchte Musik nur für meine Leute machen.

ZEIT ONLINE: Diese Leute, ihre eigene postmigrantische, von Kunst und Queerness geprägte Community, standen vor drei Jahren auf ihrem Album K4Lim Fokus. Ihr neues Album Canê scheint sich hingegen viel mehr um ihr eigenes Ego zu drehen.

Düzgün: Schon zu Beginn der Albumproduktion stand für mich fest, dass ich nach K4L aus dem großen Ganzen ins Kleine gehen will. Außerdem ist Canê während der Corona-Pandemie entstanden. Ich war einfach viel allein oder nur von denselben zwei, drei Leuten umgeben. Also habe ich mich, wie viele andere, mit mir selbst beschäftigt.

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ZEIT ONLINE: Hatte das auch ein Stück weit mit Frust über Ihr Umfeld zu tun? Sie rappen gleich in Dersim62, dem ersten Song auf Canê: "Zu viel trouble in der bubble", und wenig später: "Alles BIPoC/Doch solidarity?/Comedy."

Düzgün: Wir reden die ganze Zeit darüber, dass wir eine progressive BIPoC-Bubble (der Begriff BIPoC steht für Black, Indigenous, People of Colour – Anm. d. Red.) seien wollen, in der alle für das Gleiche kämpfen. Doch plötzlich musste ich beobachten, wie sich Personen aus meinem Umfeld gegenseitig bashten. Wenn wir gemeinsam kämpfen wollen, etwa gegen Rassismus und Sexismus, wieso gibt es dann so viel Beef in den eigenen Reihen? Es war sehr traurig zu sehen, wie da riesige Egos aufeinanderprallten. Ich hatte das Gefühl, manchen Leuten ging es nicht darum, eine Gemeinschaft voranzubringen, sondern sich selbst zu vermarkten.

ZEIT ONLINE: Der Text von Dersim62geht wie folgt weiter: "Woke sh*t, den keiner checkt/Ficke deinen Intellekt/Komm' mir nicht mit Uni-Slang/Dein sh*t bleibt in der Uni häng'." Empfinden Sie die Debatten, die von ihrer Community geführt und angestoßen werden, als abgehoben?

Düzgün: Ich finde sie wichtig. Ich verstehe auch, dass ein akademischer Kontext wichtig ist, um gewisse Themen überhaupt besprechen zu können. Wenn man sich aber die ganze Zeit an den gleichen Themen und der gleichen akademischen Sprache festkrallt, dann werden auch nur Debatten geführt, die gar nicht zugänglich sind für Menschen, die tatsächlich betroffen sind. Leider gibt es jedoch Leute, auch in meiner Community, die sich vor allem damit profilieren wollen, wie gut sie sich ausdrücken können.

ZEIT ONLINE: Ein Vorwurf an progressive Kreise, den zum Beispiel auch die Medien des Springer-Verlags oder Sahra Wagenknecht immer wieder erheben. Hat Ihre Kritik eine andere Bedeutung?

Düzgün: Mir geht es nicht um die Empfindlichkeiten weißer Menschen. Es macht einen Unterschied, dass ich explizit zu den Menschen in meinem Umfeld spreche. Ich möchte Kritik formulieren, die aus der Szene selbst kommt. Natürlich denke ich aber auch darüber nach, ob ich uns damit für Angriffe von außen verletzbar mache.

ZEIT ONLINE: In der zweiten Hälfte von Canê erklingen nacheinander drei Liebeslieder, die sie selbstverständlich aus weiblicher und queerer Perspektive erzählen. Denken Sie beim Schreiben darüber nach, dass schon darin ein Unterschied zum Deutschrap-Mainstream besteht?

Düzgün: Mein Blickwinkel ist automatisch ein anderer, aber auch queere Perspektiven sind vielfältig. Badmómzjay verkörpert ihre Bisexualität zum Beispiel ganz anders als ich meine Queerness. Mein Song Shy ist ein flirty Clubtrack, bei dem es nicht um Arroganz, sondern um meine Schüchternheit geht. Natürlich hat es solche Songs auch schon von anderen gegeben. Trotzdem empfinde ich sie als genauso wichtig und politisch wie andere Tracks von mir.

ZEIT ONLINE: Ihre Musik bietet viel Identifikationspotenzial für Menschen, die Ihre Perspektive und Ansichten teilen. Glauben Sie, dass das auch andere ausgrenzt?

Ebow: "Nicht alles muss politische Praxis sein" (2024)
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